Monteverdi und kein Ende

Im Jubiläumsjahr sind sowohl bei Carus/Reclam wie bei Schott neue Bücher zu Werdegang, Wirken und Werk des grossen Komponisten erschienen. Silke Leopold nähert sich eher biografisch und zeitgeschichtlich; Michael Heinemann vor allem über die Höreindrücke.

Claudio Monteverdi. Ölgemälde von Bernardo Strozzi, um 1630. Tiroler Landesmuseum/wikimedia

Als August Wenzinger in Basel 1955 die Oper ‚Orfeo‘ von Monteverdi auf Schallplatte einspielte, interessierte dies höchstens einige wenige Insider. Wie sehr sich das gewandelt hat, zeigt das Jubiläum zum 450. Geburtstag des grossen italienischen Komponisten, wimmeln die Spielpläne in diesem Jahr doch nur so von seinen Werken: Madrigale, Opern und die Marienvesper hüben und drüben.

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Auch an Büchern sind einige Neuerscheinungen zu verzeichnen, wobei zwei besondere Erwähnung verdienen. Da ist einmal Silke Leopold: Die emeritierte Professorin aus Heidelberg beschäftigt sich schon seit Jahrzehnten mit Monteverdi, nun legt sie eine neue Biografie bei Carus/Reclam vor. Leopold zu lesen, ist immer eine Bereicherung und ein grosses Vergnügen. Das ist auch in diesem Fall nicht anders. Mit Weitblick erzählt sie den Werdegang Monteverdis von den Anfängen in Cremona über seine Zeit am Hof in Mantua bis zu seinem Kapellmeisteramt am Dom von San Marco in Venedig. Dass die Autorin dabei auch das politische und kulturelle Umfeld einbezieht, macht diese Biografie besonders spannend. Wenn Leopold Informationen zuzieht, die über die spärlichen Angaben zu Leben und Wirken hinausgehen, macht sie dies nie verkrampft, aufgesetzt, es gibt keine Längen. Und wie sie von Monteverdis Madrigal-Drucken über die Vorworte und Druckorte auf historische Ereignisse und das Denken des Italieners schliesst, ist faszinierend.

Die Kunst der Autorin besteht darin, sowohl Laien als auch einem Fachpublikum Lesenahrung zu bieten, und sie schreckt vor Bezügen zur Gegenwart nicht zurück, etwa wenn sie die Handlung von Il pastor fido als «einer Telenovela aus heutiger Zeit nicht unähnlich» bezeichnet. Die Innovation im Madrigal Cruda Amarillis aus eben dieser «Telenovela» beschreibt sie so: «Was an diesen Kompositionen auffällt, ist Monteverdis dezidierter Versuch, aus den fünf Stimmen des madrigalischen Satzes eine sprechende Person, ein Individuum zu machen und den polyphonen Tonsatz in eine Art dramatische Szene zu überführen.»

Musikalische Erklärungen und kulturgeschichtliche Betrachtungen ergeben bei Silke Leopold ein schillerndes Kaleidoskop der Zeit um 1600. Wertvoll ist der Anhang mit biografischen Angaben, einem Werkverzeichnis, dem Verzeichnis der Drucke und einem Glossar, wo Einsteiger Hinweise zu den Musikinstrumenten, zu Interpretations- und Werkbezeichnungen finden.

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Mit Leopolds Informationen gefüttert, sollte man sich die bei Schott erschienene Monografie Claudio Monteverdi – Die Entdeckung der Leidenschaft von Michael Heinemann nicht entgehen lassen. Der Autor nähert sich Monteverdis Musik aus der Perspektive des Hörens, setzt allerdings ein gewisses Mass an Wissen voraus. Ohne Kenntnisse um die Form des Madrigals oder um die Monteverdi-Opern Orfeo, Poppea und Ulisses geht es nicht beim Lesen.

Am interessantesten sind seine Ausführungen, wenn man sie mit Hörerlebnissen koppeln kann; sprich, wenn man seine Erklärungen mit Tonbeispielen unmittelbar vergleichen kann. Und auch Heinemann, seines Zeichens Professor für Musikwissenschaft in Dresden, versteht es, sein Fachwissen auf ein verständliches Mass herunterzubrechen. So bietet auch dieses Buch ein hohes Lesevergnügen. Schon die Kapitelüberschriften machen «gluschtig»: «Ich singe, also bin ich – Orfeos Welt-Entwurf» oder «Kirchenmusik, Kontrapunkt und Kalkül» sind nur zwei Beispiele dafür.

Ein Zitat aus dem Kapitel «Klangreize» mag Heinemanns Schreibstil illustrieren: «Popularität, die Monteverdis Musik gewann, resultiert nicht aus Gelehrsamkeit. Nicht aus der korrekten Verwendung von Dissonanzen oder wegen ihrer artifiziellen Polyphonie. (…) Vielmehr ist sie einer Einfachheit geschuldet, die nicht mit Schlichtheit zu verwechseln wäre, sondern eine Direktheit meint, Affekte unmittelbar und scheinbar ohne Reflexion zu gestalten.»

Silke Leopold: Claudio Monteverdi. Biografie, 256 S., € 28.00, Carus/Reclam, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-15-011093-5

Michael Heinemann: Claudio Monteverdi – Die Entdeckung der Leidenschaft, 178 S., € 24.50, Schott, Mainz 2017, ISBN 978-3-7957-1213-6
 

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